Mal wieder zurück zum Thema:
Die neue
Street Glide Ultra demonstriert die Sackgasse, in die HD sich mit seinen Tourern verrannt hat.
Rekapitulieren wir noch mal:
- Was war nach 54 (Tod von Indian) das Alleinstellungsmerkmal von HD gegenüber der versammelten Konkurrenz?: Das typisch amerikanisch-französische Art Deco - Design.
- Was macht das Art Deco Design bei KFZ aus?: Zum einen die Tropfenform, bei Autos der gesamten Karosserie (Foto 7), wie der 1934 auf der Detroit Auto Show Porsche zum Käfer inspirierende Lincoln Zephyr beispielhaft zeigt. Diesbezügliche Studien von Indian (Foto 4) beim Motorrad scheiterten am Kühlproblem bzw. bei BMWs Studie R7 am Willen des Vorstands. Daher folgten Indian ab 1934 (Foto 3), gefolgt von HD ab 1936, den anderen Ansatz von Art Deco, nämlich des Design JEDES sichtbaren Teils. Die Tanks bekamen die Art Deco-Tropfenform, bei Indian ab 1940 auch die von BMW‘s R7 abgekupferten Fender (Foto 8 ) , und jedes Teil der vorher europäisch-funktional mehr oder minder hässlichen Technik (Fotos 2+6) musste nun durchdesignt werden, insbesondere der gut sichtbare Motor. Bei Indian beschränkte man sich auf die nun künstlerisch geschwungenen Kühlrippen des Flatheads mit dem Nebeneffekt von mehr Kühlfäche, Bill Harleys Knucklehead (Foto 9) zeigte gegenüber seinem nüchternen englischen technischen Vorbild JAP (Foto 1) mit welchem bis dahin unbekannten enormen Aufwand erstmals jedes sichtbare Detail durchdesignt wurde, von Rockerboxen über Stösselstangenhüllrohre bis zum Nockenwellencover.
- Diese Priorität des Designs war (neben dem in der Großserie größten Hubraum der Welt, welcher schaltfaules Fahren ermöglichte angesichts der im gesamten Markt bis zum Aufkommen der Japaner fürchterlich zu schaltenden Getriebe) vor allem nach 54 der Hauptgrund, eine HD zu begehren. Diesem von Willy G. über das allgemeine Ende von Art Deco Anfang der 60er hinaus bis zum seinem Ausscheiden Mitte der 2010er Jahre fortentwickelte Alleinstellungsmerkmal verdankt HD, dass es die Company heute überhaupt noch gibt. Der Rest der KFZ-Welt kehrte mehr und mehr zum funktionalen, von dem jeweiligen zeitgenössischen Stand der Technik bestimmten Design wie in der Zeit vor dem Art Deco zurück. Abgeschlossen war diese Abkehr ab 1980, als PKW ausnahmslos die vom cw-Beiwert diktierte Kammform bekamen und der Rest der Motorradwelt „Form follows Function“ - nach der breiten Einführung von naturgemäß hässlichen wassergekühlten Motoren - bis zum Exzess durchexerzierte. Einzig Ducati machte sich darum verdient, diesem Design mit der 916 und insbesondere der Monster Designqualität im Sinne des Art Deco abzugewinnen, seit einigen Jahren ist auch MV-Agusta auf diesen Zug aufgesprungen. Der Designer der Ur-Monster, Miguel Galuzzi, bekannte sich bei der seinerzeitigen Vorstellung ja auch offen dazu, daß er sich das sportlichste Art-Deco-Motorrad aller Zeiten, eben die SPORTSTER, zum Vorbild genommen hatte. Es ist klar, daß Design bis zur letzten Schraube produktionstechnisch sehr teuer ist, weswegen solche Motorräder ausnahmslos hohe Preise haben müssen. Das verträgt sich nicht mit dem japanischen Anspruch des mehr oder minder massenkompatiblen Motorrads, weswegen die durchaus begehrenswerten Ansätze der 70er mit tendenziell breitbandig ansteigenden Kosten Anfang der 80er konsequent eingestampft wurden. Die Ausnahme von der Regel, die Kawa W800, belegt dies mit ihrem gegenüber der Konkurrenz unverhältnismäßig hohen Preis. Einzig das Niedriglohnland Indien kann sich so ein Design zu vertretbaren Preisen noch leisten
- Der typische HD-Käufer machte immer Abstriche bei der Technik, um ein Motorrad mit Designpriorität und -qualität zu erwerben. Ab der Superglide kam mit den Choppern auch der Potatoe-Sound hinzu, aber alle Twinshock-FX von MJ1970 bis MJ2017 waren wie Chopper (Foto 5) im Unterschied zum Rest der Motorradwelt bis ins kleinste Detail durchdesignt. Die Chopper konnten im Unterschied zur Serie ohne Kostendruck bis zur einzelnen Hutmutter und Covergravur konsequent durchdesignt werden
Nach dieser langen Vorrede kommen wir nun zur Zeitenwende bei HD, was bedeutet, dass die Technik bei den Tourern immer mehr Vorrang vor dem Design erhält:
- Der Konkurrent Indian verfolgt hier eine viel kompromisslosere und damit konsequentere Strategie: Tourer sind Nutzwert- und damit funktional orientiert und müssen sich damit dem entsprechenden Wettbewerb stellen. Daher setzt Indian hier ab MJ25 konsequent auf den Power-Plus-Motor und damit technische Parameter und versucht garnicht mehr, diese Modelle nach Art-Deco aussehen zu lassen. Die Softail-Konkurrenz „Chief-Baureihe“ setzt mit dem wunderschön durchdesignten Thunderstroke mit gegenüber HD künstlerisch geschwungenen Kühlrippen auf die Augenweide eines Art Deco-Designs und versucht erst garnicht, unsinnigerweise in die Regionen der Parameter des Power-Plus zu kommen. Was lehrt uns das? Mit der Beschränkung auf konzeptentsprechende technische Parameter kann man auch unter €5+ noch einen klassisch amerikanischen, rein! luftgekühlten 2!-Ventil-V-Twin realisieren. Das Management muß eben nur klare Prioritäten setzen.
- HD‘s Strategie ist hier nicht Fisch, nicht Fleisch: Sie behalten den Art-Deco-Motor bei den Tourern bei, müssen ihn aber von MJ zu MJ mehr verschandeln, um unsinnigerweise mit den technischen Parametern der versammelten wassergekühlten Konkurrenz mitzuhalten. Zur Erhöhung der Verdichtung und damit von Drehmoment und Leistung bekam die gesamte Tourerbaureihe 2024 Wasserkocher vor den Bug gepflanzt, und um leistungsmäßig weiterhin mitzuhalten, wurde mit MJ25 das finale Designverbrechen verübt: Der Art-Deco-Motor ist gerade auf seiner rechten Schokoladenseite hinter dem - zum Erreichen der „konkurrenzfähigen“ technischen Parameter bei Einhalten der Lärmbegrenzungen geschuldeten - geradezu abartig riesigen Luftfilterkanister praktisch nicht mehr sichtbar. Und zu allem Überfluss wurden die von Jahr zu Jahr immer verquollener wirkenden Fairings nun - zudem seit Verlegung der Kühler an die Front technisch unnötig - in martialisch - eckige Kanister a’la R1300GS Adventure - Tankflanken verwandelt . Da fragt sich der Laie, und der Designer wundert sich: Warum dann nicht konsequent wie bei Indian ein aus der V-Rod weiterentwickelter wassergekühlter V-Twin, sondern eine solche keiner Zielgruppe gerecht werdende eierlegende Wollmilchsau
- Diese strategische Unentschiedenheit von Zeitz: „Will ich nun technisch mit den mit einer Ausnahme (R 18 ) allesamt wassergekühlten Tourern dieser Welt konkurrieren oder will ich mit meinem Alleinstellungsmerkmal „Tourer im Art Deco-Design“ punkten“, führt m.E. in HD‘s Übernahme, wahrscheinlich durch Shineray. Will ich einen Tourer mit konkurrenzfähigen technischen Parametern, der mit Wasserkühlung noch am besten aussieht, wähle ich die Gold Wing. Deren majestätisch - luxuriöses Gesäusel und vornehmes anstrengungsloses Gleiten durch das DKG klingt dann allemal überzeugender und dem Genre erheblich angemessener als das €5+ -Gezischel eines M8, was mit Klappenauspuff höchstens zum mechanisch scheppernden V-Twin-Gerappel a‘la KTM, Pan Am und Ducati mutiert, untermalt vom schabenden - infolge der Luffi- und Puffi- Schalldämpfung eklig dominierenden - Heulen der Balancer-Zahnräder und damit weder vornehm säuselt noch herrlich klassisch ballert. Potatoe wird das nie mehr werden. Warum sollte sich jemand solch eine Krücke gönnen und mit 3500€ on Top für eine zahnlose Klappenauspuffanlage, wenn am Horizont die Super-Goldwing Souo mit prestigeträchtigem 8-Zylinder mit noch mehr Leistung und Drehmoment und gerade auf Extremtouren höchst entspannenden 8-Gang-DKG-Komfort heraufdämmert? Die Chinesen sind äußerst clever und haben erkannt, was auf dem Tourermarkt zieht.
- BMW‘s einzigartige Strategie erscheint da mindestens ebenso überzeugend, neben seinen technisch priorisierten Tourern mit der R18 eine zweite Linie mit konsequenter Art-Deco Priorität VOR den technischen Parametern zu entwickeln: Ein bis ins Art Deco - Detail durchdesignter OHV-Boxer mit geschwungenen Kühlrippen, chromglänzenden Stoßelstangenhüllrohren und freilaufender Kardanwelle mit einmaligem Schauwert gegenüber den Zahnriemen dieser Welt, dem mit Sicherheit niemals nicht ein Wasserkühler vor den Bug gepflanzt werden wird. Für Kunden, deren Priorität auch bei Tourern das Design ist, ist die R18 mit MJ25 endgültig das Angebot mit Alleinstellungsmerkmal.
Fazit: Es gibt mit MJ25 nun wirklich keinen Grund mehr, sich für einen HD-Tourer zu entscheiden, außer man scheut zahllose schmerzhafte Sitzungen beim Hautarzt, um sich die großflächigen HD-Tatoos von Oberkörper und Armen weglasern zu lassen. Die einzigen noch überzeugenden, weil klar positionierten „Touring“-Angebote von HD sind die Heritage und mit gerade noch vertretbaren Designabstrichen die mehr funktionale Low Rider ST.
. Stringent technisch-funktional ist außerdem die PanAm (neuerdings) „spezial“ und damit die einzig konsequente Antwort von HD auf die technikgetriebenen Tourer der Konkurrenz, denn m.E. verwischen die Unterschiede zwischen „Tourer“ und „Reiseenduro“ immer mehr, logisch, da die Zielgruppen starke Überschneidungen haben.
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„I don‘t like valves that look like golf tees. Intake valves should be the size of trash can lids, and pistons should be the size of manhole covers“ (Jay Leno)
Dieser Beitrag wurde schon 7 mal editiert, zum letzten mal von motorcycle boy am 28.01.2025 01:06.